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Gründe für ein Management verteilter Anwendungen

Große Rechnernetze zeichnen sich, bedingt durch ihr Wachstum über mehrere Jahre, durch einen sehr hohen Grad an Heterogenität bezüglich nahezu aller für ein Netzmanagement relevanten Bereiche aus:

Da es sich heutzutage weder Hersteller noch Anwender leisten können, getätigte Investitionen in Technologie, Geräte, Schulung und Personal nicht weiter zu nutzen, auf der anderen Seite jedoch die Geschäftstätigkeit der Anwender durch betriebssichere Systeme sichergestellt werden muß, ergibt sich die Notwendigkeit, für eine effektive und effiziente Überwachung der stark heterogenen Kommunikationssysteme ein integriertes Netzmanagement einzusetzen.
Dies schließt nicht nur ein Management von Hardwarekomponenten ein, sondern auch, und gerade, ein Management der höheren, anwendungsorientierten Kommunikationsschichten, also von Software-Modulen.

Gründe hierfür liegen im wesentlichen darin, daß große Anwender zur Überbrückung der Unterschiede zwischen den systemspezifischen und daher zueinander inkompatiblen Kommunikationsdiensten (wie z.B. ftp, DECnet Copy) eigene anwendungsbezogene Kommunikationsdienste entwickelt haben, auf denen die eigentlichen Anwendungen (z.B. CAD-Programme, Datenbanksysteme) aufsetzen und deren Aufgabe darin besteht, die Inkompatibilitäten der darunterliegenden Systemkomponenten für den Dienstnutzer transparent zu machen.

Hiermit verbunden ist

1.
eine Erhöhung der bereits beachtlichen Anzahl an Schichten und damit der Komplexität des Kommunikationssystems, da zusätzlich zu bestehenden Systembestandteilen wie der Netzinfrastruktur, den Kommunikationsprotokollen und systemnahen Kommunikationsdiensten ein weiterer anwendungsnaher Kommunikationsdienst bereitgestellt werden muß.
2.
die Notwendigkeit, neue Managementobjekte zu schaffen[*], bedingt durch die Einführung einer individuellen und daher nicht standardisierten Kommunikationsanwendung.
Moderne verteilte Kommunikationsanwendungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, daß sie keine monolithische Struktur besitzen, sondern aus einer Vielzahl verteilter, interdependenter und hierarchisch angeordneter Prozesse bestehen.
Daraus folgt, daß bereits der Ausfall eines Teilprozesses die ordnungsgemäße Funktion der gesamten Anwendung beeinträchtigen oder sogar zum Erliegen bringen kann.
Dies wiederum impliziert, daß sich ein Management der verteilten Anwendung nicht darauf beschränken kann, diese als Ganzes in der MIB abzubilden, sondern sämtliche Teilprozesse geeignet modelliert und analog zu den anderen Ressourcen eines Kommunikationssystems, wie z.B. Hardwarekomponenten in der Management-Informationsbasis (MIB) als Managed Objects abgelegt werden müssen, um ein den tatsächlichen Gegebenheiten angemessenes Management der verteilten Anwendung sicherzustellen (Abbildung 2.1).

Komponenten- und prozeßbasierte Modellierungmodellierung Ein weiterer Aspekt, der Beachtung verdient, ist die Tatsache, daß ein Management verteilter Kommunikationsanwendungen keinesfalls isoliert möglich ist, sondern ein enger Zusammenhang mit Komponenten- und Systemmanagement besteht, da die korrekte Funktion eines anwendungsorientierten Kommunikationsdienstes das Vorhandensein der Dienste darunterliegender Schichten bedingt [NWP FK].
Diese Tatsache erschwert im Fehlerfalle die Fehlersuche und -diagnose, da ein bei der Nutzung des Dienstes aufgetretener Fehler nicht zwangsläufig ihm zuzuordnen ist. Es ist nämlich durchaus möglich, daß der Fehler in einer darunterliegenden Kommunikationsebene aufgetreten ist und, bedingt durch die Schichtung des Kommunikationssystems, erst an der Dienstschnittstelle bemerkt wird.

Ideal wäre es, in einer integrierten Netzmanagement-Plattform den gesamten Kommunikationsstack abzubilden, um Schicht für Schicht Aussagen darüber zu gewinnen, welche Teile des Systems einer Störung unterworfen sind. Der Operateur an der Netzmanagementplattform erhielte somit bereits eine signifikante Eingrenzung der Fehlermöglichkeiten, da das Netzmanagementsystem ihm bereits das betroffene Kommunikationssystem liefert sowie die darin enthaltene Schicht, in der der Fehler aufgetreten ist.

Die Qualität eines Netzmanagements hängt direkt von der Modellierungsgüte der in einem Kommunikationssystem enthaltenen Hard- und Softwarekomponenten ab.
Ziel des Modellierungsprozesses ist die Abbildung von Elementen der realen Welt in logische Objektbeschreibungen, die dem Netzmanagement zur Verfügung gestellt werden. Es liegt somit auf der Hand, daß der MIB, die das Ergebnis der Modellierung ist, eine zentrale Bedeutung im Netzmanagement zukommt.

Für die Realisierung der MIB sind insbesondere folgende Fragestellungen von entscheidender Bedeutung:

1.
Notwendigkeit:
Welche Informationen sind für das Management wichtig und sollen in der MIB enthalten sein ?
2.
Vollständigkeit:
Reichen die managementrelevanten Daten realer Elemente aus oder ist es notwendig, diese Daten um zusätzliche Informationen zu erweitern ?
3.
Strukturierung:
Kann die Struktur der zu speichernden Informationen in die MIB mit übernommen werden ?
4.
Flexibilität:
Inwieweit erlaubt die gewählte Modellierungstechnik, Änderungen und Erweiterungen der logischen Objektbeschreibungen vorzunehmen ?

Um der Komplexität moderner Kommunikationssysteme zu genügen, reicht es nicht aus, lediglich logische Objektbeschreibungen der Netzelemente aufzustellen, sondern es muß ebenfalls Managementwissen bezüglich der Elemente verfügbar gemacht werden.
Die Notwendigkeit hierfür liegt darin, daß Netzmanagement sich nicht nur auf rein passive Überwachungstätigkeiten beschränkt, sondern aktive Eingriffe in den Netzbetrieb erforderlich sind, um die Betriebssicherheit des Rechnernetzes zu gewährleisten. Insbesondere von Seiten großer Netzbetreiber wird erwartet, daß einfache Eingriffe selbständig von einem Netzmanagementsystem durchgeführt werden können, um die Netzoperateure von Routinetätigkeiten weitgehend zu entlasten.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ab wann die durch Netzmanagement verursachte Netzlast eine kritische Größe bezüglich des Gesamtdurchsatzes des Netzes erreicht. Die Verwendung ,,dummer`` Agents führt in der Regel zu hohen Netzlasten, da vom Managerprozeß in gewissen Zeitabständen ein Polling der Agenten durchgeführt werden muß.
,,Intelligente`` Agents, die selbständig MIB-Variablen überwachen und die Überschreitung eines vordefinierten Schwellwertes an den Managerprozeß melden, sind gerade im Bereich großer Kommunikationssysteme das Mittel der Wahl.

Die skizzierten Themenkomplexe werfen folgende Fragestellungen auf:

1.
Welches Managementwissen über Netzelemente muß in die Modellierung eingebracht werden ?
2.
Welche Eingriffe in den Netzbetrieb sollen
(a)
manuell durch den Netzoperateur
(b)
automatisch durch die Managementstation
ausgeführt werden ?
3.
Was sind die Anforderungen an den Agent und wie können diese erbracht werden ?
4.
Welche Managementfunktionalität kann von dem Managerprozeß auf den Agent verlagert werden ?
5.
Ist es erforderlich, einen eigenen Managementkanal im Sinne eines outband signaling einzurichten, um einer Zunahme der Netzlast durch Managementvorgänge vorzubeugen ?
6.
Kann in großen Netzen ein zentrales Netzmanagement überhaupt durchgeführt werden oder ist ein verteiltes Netzmanagement sinnvoller ?
Die angeschnittenen Fragen stellen lediglich einen Querschnitt durch die Bereiche dar, die zwangsläufig bei der Realisierung eines Netzmanagements tangiert werden. Um die Zukunftssicherheit des Managementkonzeptes und die damit verbundenen Investitionen zu gewährleisten, ist es zwingend notwendig, die oben genannten Aspekte in die Planung des Netzmanagements mit einzubeziehen.


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